Luther, Martin – An Spalatin

Gruß und Segen voran! Sehr lieber Herr Spalatin! Ich erbitte von Euch einen Dienst, ein Werk der Liebe und ein Werk des Glaubens. Verhelft mir zur Stunde zu den Briefen des St. Hieronymus oder zieht so kurz es Euch möglich iaus seiner kleinen Schrift „de viris illustribus“ aus, was der Kirchenvater vom Apostel St. Bartholomäus geschrieben hat. Sorgt, daß ich es vor der zwölften Stunde erhalte; ich will darüber predigen. Die Possen und Lügen des „Catalogus sanctorum“ und der „Legenda aurea“ haben mir großen anstoß erregt. Lebt wohl, bester Bruder.

In unserm Klösterlein.

Bruder Martinus Luther, Augustiner.

Ihr dürft Euch nicht wundern, daß ich ein Theolog sein will und doch keinen Hieronymus besitze. Ich warte auf die Ausgabe des Erasmus, und die, welche ich bisher im Gebrauch hatte, hat Johannes Lang mitgenommen und verkauft.

Martin Luthers Briefe
In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald.
Erster Band.
Leipzig/ im Inselverlag/ mdcccix.

Luther, Martin – An Georg Spalatin (14.12.1516)

Wittenberg, den 14. Dezember 1516

Dem Diener Christi und Priester des Herrn, G. Spalatin, dem hochgelehrten Magister, seinem aufrichtigen Freund und redlichen Bruder.

Jesus.

Daß du schreibst, bester Spalatin! der durchlauchtigste Fürst gedenke meiner häufig und ehrenvoll, darüber freue ich mich eben nicht, bete jedoch, daß Gott der Herr ihm für seine Demuth Ruhm geben wolle. Denn ich bin nicht werth, daß irgend ein Mensch meiner gedenke, geschweige ein Fürst, und zwar ein solcher und so großer Fürst. Ja ich sehe und erfahre, daß diejenigen mir am meisten nützen, welche meiner am übelsten gedenken. Doch bitte ich, du wollest meinetwegen danken für die Gnade und das Wohlwollen unseres Fürsten, obwohl ich weder von dir noch sonst jemand gelobt werden will, da des Menschen Lob eitel ist, und allein das Lob Gottes wahrhaftig ist, wie geschrieben steht: „nicht im Menschen, sondern am Herrn soll meine Seele gelobt werden,“ und wiederum: „nicht in eurem Namen, sondern in seinem heiligen Namen werdet gelobt.“ Nicht daß unsere Lober zu strafen wären, weil sie lieber Menschen loben, als Gott, welchem sei allein Lob, Ehre und Preis. Amen.

Du verlangst mein Urtheil über dein Vorhaben, einige Werkchen in’s Deutsche zu übersetzen: Du verlangst, was über meine Kräfte geht. Wer bin ich, daß ich urtheile, was allgemein gefalle und nütze? Da es allein Gnade ist, daß was irgend gefällt und nützt, dergleichen ist. Weist du nicht, daß, je heilsamer etwas ist, destoweniger es gefällt und nützt? Was ist heilsamer, als das Evangelium und Christus? Sie werden aber nicht geachtet und sind den Meisten ein Geruch des Todes zum Tode, den Wenigsten aber ein Geruch des Lebens zum Leben. Du sagst etwa: du wollest nur denen öffentlich nützen, welchen das Gute gefällt. Hier brauchst du also meinen Rath nicht: die Schafe höre allezeit jede Stimme des Hirten und verschmähen oder fliehen nur die Stimme des Fremden. Was du mithin auch thun willst, wenn es nur gut und Christi Stimme ist, so darfst du nicht zweifeln, es wird gefallen und nützen, aber wenigen und sehr selten, weil die Schafe in dieser Wolfgegend sehr selten sind.

Vor Allem aber bitte in einem demüthigen Gebetlein um Christi Rath und Willen, welchem auch das Gute nicht gefällt, welches ohne seinen Befehl und Willen geschieht, wie Jesajas C. 30 sagt: „wehe euch, ihr abtrünnigen Kinder, daß ihr euren Rath angefangen, aber nicht aus mir und ein Werk unternommen, aber nicht durch meinen Geist.“ Folge also nicht deiner guten und frommen Absicht, wie die gemeinen Mönche und Priester hin und wieder gröblich irren, sondern frage, ob es erlaubt, ja befohlen, in diesem deinem Werke besonders, sowie in allen andern Thaten, wenn du nicht willst, daß dein Werk zu Stoppeln werde. Laß doch aber auch meinen Rath dabei gelten. Hast du Lust, eine lautere, gründliche, der alten ganz ähnliche Gottesgelahrtheit zu lesen, in deutscher Sprache geschrieben, so kannst du dir die Predigten Joh. Taulers vom Prediger-Orden schaffen, wovon ich dir hier einen kurzen Auszug schicke. Denn ich sehe weder in der lateinischen noch deutschen Sprache eine heilsamere Theologie, die mit dem Evangelium besser übereinstimmten. Schmecke also und siehe, wie freundlich der Herr sei, wenn du zuvor geschmeckt und gesehen hast, wie bitter Alles ist, was wir sind. Aus unserem Kloster zu Wittenberg. Am Sonntag nach Lucia im J. 1516.

Br. Martin Luther.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862