Severus, Wolfgang – An Thomas Blaurer

Linz, 29 Oktober 1523

In meinem Brief an Agricola, dem ich von Passau aus auf Mahnung von Gundelius schrieb, habe ich Dich grüßen lassen und mich entschuldigt, daß ich nicht einen eigenen Brief an Dich senden könne wegen der Abreise in die Heimat. Nachdem ich kaum eine Nacht dort verweilt, wurde ich an den Hof meines Gönners gerufen, der mich freundlich empfing und dem ich versprechen mußte, den Winter bei ihm zuzubringen. Inzwischen forderte mich mein vertrauter Freund Erasmus Axinurus schriftlich auf, nach Linz zu kommen, und teilte mir nach der Begrüßung mit, daß er in zwei Tagen nach Wittenberg verreisen wolle. Gern mache ich Gebrauch von dieser Gelegenheit, Euch zu schreiben, wie ich bei der Abreise versprochen habe, obwohl nicht viel zu berichten ist, als daß Herzog Ferdinand allenthalben streng verbietet, das Evangelium unter dem Volk zu verbreiten. Manche gehorchen, den Lüsten frönend, nur zu gern; das einfache Volk aber erbarmt mich, das, was immer es hört, als Gottes Wort annimmt. Welch ein Elend, daß unter allen Pfarrern in dem großen Erzherzogtum keiner ist, der durch die Finsternis Christus sähe und seine Lehre auch nur mit den Lippen gekostet hätte; gegen alle Anhänger einer reineren Religion aber wüten sie. Christus lasse auch für uns das Licht seiner Gerechtigkeit die Finsternis durchbrechen. Ihr seid glücklicher, die ihr den wahren Apostel Christi, Luther, und so manche andere hören könnt. Lebe wohl, grüße Kaspar Cruciatus und Kilian; ich werde ihnen gern erwidern, wenn sie mir schreiben. Wenn etwas Neues geschieht, teile es mir mit und laß unseren Verkehr durch die räumliche Trennung nicht ganz unterbrechen.

Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer
1509 – 1548
Herausgegeben von der Badischen Historischen Kommission
Bearbeitet von Traugott Schieß
Band I
1509 – Juni 1538
Freiburg i. Br.
Verlag von Friedrich Ernst Fehsenfeld
1908

Grumbach, Argula von – An ain Ersamen Wesen Radt der stat Ingolstat

An ain Ersamen Wesen Radt der stat Ingolstat/ ain sandtbrieff/ von Fraw Argula von grumbach geborne von Stauffen.

Den Ersamen Fürsichtigen und Weysen Burgermaystern/ vnd Radt der Statt Ingolstatt/ meynen guten freünden.

GNad vnd fryd in got/ wünsch ich euch sampt meinem freüntlichen gruß/ als besondern lieben brüdern in Christo/ Es hat sich in verschyner zeyt begeben/ das ich auff die handlung/ so mit Arsacius Seehofer gethon/ ainer hohenschul daselbst/ geschryben vnd auß Christenlicher pflicht dohin gedrungen/ hett gemaint es wer also vnder jne blyben/ vnd mich wa ich het geirt des ich nit wayß vnder wysen/ Nu hör ich das sollichs durch sy gantz lautmer ist worden/ bin vil auff disem weg darumb angesprochen/ vnd würt mir gar vil anderst außgelegt dann ichs geschriben oder gemaint hab/ auß sollichem würd ich bewegt/ euch Copey der selben schrifften hyemit zuzuschicken/ nit das ich beger mich von meiner person wegen zu verantwurtten/ allain von der wegen/ die sich ab meinem schreiben möchten ergeren/ bitt eüch das zuuerlesen. Setz kainen zweyffel darein der gayst gottes wer wol schulmayster sein/ vnd das recht vrtayl fellen/ Des will ich warten/ dann es stat Ysaie am 30. Got ist ain herr des vrtalys sy sind alle sälig die sein harren/ bitten vnd erman euch als die glider Christi/ wölcher allain vnser aller haupt ist/ als Paulus zu den Ephesi. am. 4. Christus ist das haupt darauß der gantz leib zusamen gefügt. Nun seind wir alle in dem tauff gott eingeleibt/ als am anfang dises Capitels/ ain leib/ ain gayst/ ain hoffnung/ ain herre/ ain glaub/ ain tauff/ ain got/ ain vater/ der da ist vber vns all/ vnd durch alle dinge in vnns allein rc. Darumb setzt in gedächtnuß des gligtnus so jr got im tauff gethon habt/ also lautendt Ich glaub/ Ich wider sage dem Teüffel/ vnd alle seynem pomp vnd gespenst. Halt wir got nach vnserm vermögen glauben vn trawen/ das ist/ so wir jne bekennen/ darzu er vns auch sein gewalt will verleyhen/ so würdt er vnns auch bekennen/ als er sagt Matthei am. 10. Darumb wer ain Christ will seyn/ muß ye so vil er kan/ den die Gottes wort wöllen verdammen/ widersprechen/ aber nit mit fechten/ sonder mit dem wort gottes/ dann Ephesio. am. 4. sagt Paulus/ vor allen dingen bestelt den fryd vnd lieb vnder ainander rc. Wöllicher doctor ist ye als wol gelert gewest der ain höhere gelibtnus gethon hatt/ als ich/ mir ist auch der gayst gottes als wol verhayssen/ als jn/ wie gott sagt Johelis 2. Ich würdt auß giessen meinen gayst vber alles flaysch/ vnd ewer sün vnd döchter weren weyssagen/ ich hör wie etlich so seere vber mich erzirnet/ das sy nit wyssen wie sy es nur schickten das ich vom leben zum tod käm/ nun wayß ich wol das sy mir nit schaden mögen/ bis solang jn der gewalt von got würdt gegeben/ der würdt mich wol erhalten bis zu seinem lob/ Paulus in der .2. zun Corinthier am .4. wir leyden alle ding on beschwerdt vmb den namen des herren/ Psalm. am .3. Ich würd tausent nit fürchten/ vnd Esaie am .30. Tausent weren erschrecken vor ainem. Höre den herren Ysai. 43. Nicht wöllest die fürchten/ dann ich bin mit dir vnd der behalter ist nit on mich/ vnd Ysaie am 51. sagt got/ ich selbst treste euch/ wer bistu dz du dich fürchtest vor dem tödtlichen menschen/ der da ist als das hew. rc. Wir haben Joannis am 9. die Juden hetten schon ain rath beschlossen vnd zu samen versprochen/ wer Christum bekennt der soll im bann sein/ vnd auß der Kirchen geworffen werden/ als dann layder ewer Sophisten auch thon haben/ setzen die Römischen Kirchen für die haylige Christenlichen Kirchen als in Seehoffers ayd geschriben ist/ so gar hatt sy got erblent vnd geschendt/ Ich halt dar für dz vnsere Fürsten auß jrem anhalten vnd vngestiemigkait also gewaltigklichen handlen müssen/ wöllen sy anders rue vor jrem lauffen haben/ Sagen auch wie die juden zu Pylato sagten/ wir haben ain gesetz nach dem so muß er sterben/ ich wolt geren wissen was gewinns sy hetten/ wann sy mich gleich ermörten/ sy trösten sich vielleich der freyhait des haymlichen rechtens das jn nit vbel dartzu dient. Nun in dem namen gottes/ so dann das die stat wäre/ daran man die Christen martert/ als Jherusalem auch war/ so geschech mir auch wie gott wöll/ Aber bittent Gott/ das er nit auch vber euch/ durch sy beschult/ dieselbig straf verheng/ Dann wir müssen ys alles verlassen als Matthei am .10. Vatter mutter/ brüder/ schwester/ künder/ gutt/ leyb/ leben rc. Wer das nit verlast/ sagt der herr/ ist mein nit wirdig. So ich schon gestorben bin/ ist das wort gottes nicht verdilgt. Dann es bleibt ewig/ ich acht auch darfür so ich die gnad hette/ den todt vmb seines namens willen zu leyden/ wurden gar vil hertzen dardurch erweckt/ ja wann ich allain scrib wurden hundert weyber wider sy schreiben/ Dann jr seind vil die beleßner vnd geschickter seind dann ich/ vnd möchten also den namen vberkümen/ das man sy ain schul für die weyber hiesse/ wie wol ich kain zweyffel dareinsetz/ jr seind noch vil vnder jn die haimliche jungern des herren seynd/ Vnd vor forcht/ wie Nicodemus/ nit dürffen bekennen Christum/ wie wol es nitt gnug ist/ müssen bekennen/ als MAtthei am 10. Dann zu gedencken hayst nitt vor den menschen bekennt/ Got schick in ain hertzen hafftigen gayst.

Was meiner person nach geredt wurdt/ wöllet euch nit ergeren/ meynethalb acht ich nitt jrer veruolgung/ ist mir ain frewd/ das ich von wegen des hayligen Ewangeliuus vermaledeyet wurdt. Gott verzeyhe jns/ sy wissen nit was sy thun/ Ich bitte auch hertzlich für sy/ das sy got erleücht bitt euch/ auch für sy vnnd alle erstockte hertzen zu bitten/ Hört den herren/ Ysaie am 30. Dises volck bewegt got zum zoren/ die da nit wöllen hören das wort gottes/ Vnd die da sagen zu den gesehenden/ nit wölt gesehen. Jeremie am 10. Die hyrten thäten thorlich/ suchten nit den herren/ darumb veründen sy nichts/ vnd alle jr herd ist zerstöret/ vnd Jeremie am 23. Jr habt verkert das wort des lebendigen gottes vnd burden auffgelegt/ Darumb gib ich euch zu ainem ewigen laster/ das da nymmer wirdt verdilcket/ vnd Actum am 15. sagt Petrus/ Jr vnderstehet euch/ vns die burden auffzulegen/ die weder vnser väter noch wir haben tragen mügen. Aber wir glauben das wir durch die gnad gottes sälig werden/ als dann vnser vätter auch glaubt haben/ Was sagt gott meer/ Hieremie am 23. Nicht wölt hören die wort der Prediger/ oder weyssager die euch betrügen/ vnd reden die geschicht jres hertzen/ vnd nit von dem mund Gottes/ Vnd Hieremie am 50. Mein volck ist woren ain verlorner herd/ jre hyrten verfürten sy rc. Es wer vil besser das ain mensch nit zu sollicher predig gieng. Christus sagt Matthei am 7. vnd am 13. Vns zu hütten vor der leere der Phariseier/ das er hast den sawer tayg/ vnd sagt ain weniger höffel macht vil tayg sawer. Also auch ain wenig falsche leer/ schadt vnd bringt vil vbels/ Darumb mein liebe freündt vnd brüder in Christo/ fürsecht euch wol/ auff das jr sampt jn nit verderbt/ Dartzu ich euch wünsch die gnad Gottes/ in wölliche ich ewer seel/ leyb/ eere vnd gutt beuilche/ bitt got für mich/ des gleychen will ich got auch für euch bitten. Datum Grunbach am abent Symonis vnd Jude. Anno. 1523.

Argula von Grunbach
geboren von Stauffen.

Johann Eberlin von Günzburg an den Rath der Stadt Ulm

Ende Oktober 1523

Den Ersamen fürsichtigen wysen herren Burgermeistern vnd Rat der loblichen Rychstatt Vlm, sinem günstigen lieben Herren in Christo, wünscht Johann Eberlin gnad vnd frid von Christo mit erbietung zu aller vnderthänigkeit.

Ersamen, fürsichtigen, wysen Herren, ich füge noch zu wissen, das ich komen bin von Wittenberg etlicher Geschäft halben, vnd vnder wegen auch Myne gute freindt zu Vlm besichtigen, bin ich härkomen, vnd niemand zu nachtheil noch zu beschwerlichem schaden mege ich wol ermessen, das myne Widersacher, Münch vnd Pfaffen vnruig send ze handlen vor ewer wysheit wider mich, ist mein diemüttig gebett an Ewer Wysheit ihr wollen mir vor vnbilligem gewalt wider mich sein, darzu erbiete ich mich vor ewr wysheit oder andern vnparteyischen richtern allen mynen Widersachern antwurt zu geben, warumb ich redlich vnd nottig abtreten bin von mynem Orden, auch erbiete ich mich myne Lere in geschriften vnd von mund vsgangen, Vrsach darzethun, darwber vrteyl gewarten erberer christlicher Zuhorer. So dann vil vurwe hie ist im predigen, gedunkt mich nuz vnd gut sein, ewr Wysheit lasse mich offentlich vor euch disputiren, also das ich fürhalte christliche Lere, vnd darwber hore alle Widersacher, welcher party erfunden wurt mit gschrifft Bas oder minder verfast, die blyb oder wiche der andern, also das sollichs in deutscher sprach geschah, mit anzaigung der biblien vor manigklichen, wann sollichs schryen vf der Canzel wurt in die Lange nit gut thun; Ich begere, Ewr Wysheit wolle sollichs bedenken, Ich hab gestern gebredigt den Glauben an Christum, Liebe zu dem nachsten vnd gehorsami gegen der Obrigkeit vnd nit vermaint ainem Ersamen rat ainen Verdruß daran ze thon, sollichs ewr wysheit anzezeigen, hat mich gut gedunkt, Ewr Wysheit wolle mir das in vngnaden nit vfnehmen, vnd mich armen ellenden veryagten vmb des Evangelion wegen auch lassen befolhen sein. Gott sy mit Euch allen. Datum Vlm, Montag nach Ursule 1523.

Ewr Wysheit
gutwilliger, vnderthäniger
Johann Eberlin von Günzburg

Mittheilungen zur schwäbischen und fränkischen Reformationsgeschichte
Carl Jäger
Erster Band
Stuttgart
bei F. C. Löflund und Sohn
1828

Luther, Martin – Ein Sendbrief und Verantwortung etlicher Artikel, an eine christliche Gemeinde der Stadt Esslingen. 1523

Meinen lieben Herren und Freunden in Christus, allen christlichen Bürgern zu Esslingen.

Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Es sind mir etliche Thesen‘ durch Michael Stiefel zugeschickt, die Euer Pfarrer und seine Nebenprediger aufgestellt haben sollen. Nämlich erstens, daß sie hinfort gnädig alle absolvieren wollen, die der lutherschen Lehre absagen, obwohl sie diese, als vom Papst und Kaiser verdammt, von Rechts wegen abweisen müßten. Zweitens: Sie wollen diejenigen abweisen und nicht absolvieren, die gegen Brauch und Übung der römischen Kirche Fleisch oder Eier äßen, wenn sie dies öffentlich und ohne überzeugenden Grund täten. Drittens: Sie wollen die Leute anhalten, all ihre Sünden, deren sie sich bewußt sind, vor dem Priester zu beichten, weil auch Luther selbst die Beichte lobt und preist. Viertens: Sie wollen sich bei den Fällen und Sünden, die Papst und Bischöfen vorbehalten sind, wie bisher verhalten. Fünftens: Weil gute Gewohnheit ebensoviel wie Recht und Gesetz gilt, wollen sie die Leute anhalten, zweimal in der Fastenzeit zu beichten. Sechstens: Sie wollen die nicht absolvieren, die nicht Buße leisten, sondern geltend machen, Christus habe für sie alle genug getan.

Eigentlich ist es nicht nötig, meine Liebsten, auf solch armselige, leichtfertige Thesen zu antworten, zumal ich nicht daran zweifle, daß es viele bei Euch gibt, die deutlich sehen, welche Blindheit und Torheit in ihnen liegt. Und wer nicht fester am Evangelium hält, als daß er von solchen Thesen bewegt wird ich weiß nicht, was es ihm hülfe, wenn ich hundertmal dagegen schriebe, zumal ich in so vielen Büchern so viele Male alle diese Menschenträume und Narrenpossen mit eindringlichen Schriften widerlegt und genügend geschwächt habe. Doch weil es so herzlich von mir begehrt wird, will ich Eurer Liebe aufs kürzeste, so weit ich Muße habe, darüber schreiben.

Zunächst, wir haben so gepredigt, gelehrt und geschrieben: daß all unser Tun nichts vor Gott gilt und daß wir an allen Werken und all unserem Vermögen verzweifeln müssen; sondern allein durch Christi Blut und Verdienst können wir von Sünden erlöst und selig werden, wie St. Paulus spricht Rom. 3,23 f.: »Sie sind allzumal Sünder und haben nichts, dessen sie sich vor Gott rühmen könnten, werden aber ohne Verdienst gerechtfertigt aus seiner Gnade, durch die Erlösung, die durch Christus geschehen ist, den Gott hat vorgestellt zum Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut« usw.

Da sehen wir, daß nicht unser Werk wir alle sind Sünder und können nichts als sündigen -, sondern Christi Blut uns erlöst, wenn wir das glauben. Denn ich kann gewiß Christi Blut und Erlösung nicht mit Werken verdienen. Wozu wäre sonst der Glaube notwendig, der allein solche Erlösung erfaßt und erwirbt und festhält? Und wenn unsere Werke so viel vermöchten, daß sie einer einzigen Sünde Erlösung und Vergebung erwürben, so könnten sie auch zweier, dreier, zehner, ja zuletzt aller Sünden Vergebung erlangen. Können sie aber nicht aller Sünden Vergebung verdienen, so können sie auch nicht von einer Sünde erlösen. Nun steht aber hier ein klarer Text, daß ohne Verdienst und frei umsonst die Sünden vergeben werden durch Christi Blut, mit dem er uns erlöst hat. So muß nun entweder wahr sein, daß wir nicht eine Sünde mit unserem Tun tilgen und Gnade erlangen können; oder könnten wir eine Sünde tilgen, so können wir sie auch alle tilgen. Wenn wir aber Sünde mit Werken tilgen und Gnade erlangen können, dann ist Christi Blut unnötig und grundlos vergossen, dann ist falsch, was St. Paulus sagt: Es werden die Sünden ohne Verdienst, frei aus Gnaden durch Christi Blut jedermann vergeben, der das glaubt.

Das ist das Hauptstück und das Fundament christlicher Lehre, daß wir nicht durch unsere Werke Sünde abbüßen oder tilgen können, sondern wir glauben, daß Christus mit seinem Blut das getan habe und daß dieser Glaube ohne alle Werke alle Sünde tilge. Aus diesem einzigen Hauptstück seht Ihr, daß Eures blinden Pfarrers Thesen alle zusammen unchristlich sind und wider das teure Blut Christi schändlich lästern, wie auch Papst, Bischof, Kaiser und Fürsten, die solche Lehre verdammen und verfolgen, die so offenkundig von St. Paulus dargelegt ist. So verhält sich nun Euer Pfarrer wie ein Wolf und nicht wie ein Seelsorger, wenn er in der sechsten These Bußleistungen für die Sünde fordert, gerade als könnten unsere Werke eine einzige Sünde sühnen, was doch ein so großes Amt ist, das niemand im Himmel und auf Erden vollbringen konnte als Gottes Sohn selbst, allein durch sein eigenes Blut, wie es Hebr. 1,3 steht: »Er hat durch sich selbst der Sünden Peinigung erwirkt.« Wer nun dieser These des Pfarrers folgen will, der muß Christus und sein Blut verleugnen und eine Abgötterei aufrichten, wie es der Pfarrer mit seinen Anhängern tut.

So ist die erste These auch eine Verdammung des Blutes Christi. Denn der Luther ist wegen nichts anderem verdammt, als weil er lehrt, Christi Blut sei durch den Glauben zur Vergebung der Sünde allein nütze und notwendig. Das ist gegen den Papst und all seine Gesetze, der lehrt, es durch eigene Werke auszurichten. Darum stehen Christi Lehre und des Papstes Lehre wider einander wie Tag und Nacht, wie Tod und Leben. Wer nun dieser These folgt, der ist vor Gott verdammt; wer ihr nicht folgt, der ist mit Christus und seiner Lehre vor der Welt von Papst und Kaiser verdammt.

Die zweite These ist töricht und unsinnig, da sie die Meinung vertritt, daß solcher Gehorsam und das Vermeiden von Fleischessen ein gutes Werk sein und Sünde abbüßen könne. Denn wie gesagt: Es tut’s weder Essen noch Trinken, weder Hunger noch Durst, sondern das Blut Christi alleine. Ist dem nun also, daß solcher Gehorsam die Sünde nicht tilgt, so kann auch der Ungehorsam keine Sünde sein. Denn wo Gehorsam unnötig und unnütz ist, da ist auch Ungehorsam ohne Schaden und Gefahr. Darum ist es vor Gott keine Sünde, Fleisch oder Fisch zu essen an dem Tag, an dem ich will, wie St. Paulus lehrt Röm. 14,17 und 1. Kor. 8,8: »Essen und Trinken bringt uns nichts vor Gott.« Ebenso: »Gottes Reich ist nicht Essen und Trinken, sondern Liebe, Friede und Freude.« Wer nun durch diese These sein Gewissen binden läßt, der verleugnet abermals Christus und sein Blut und ist ein Heide.

Sodann haben wir als zweites Hauptstück gelehrt, christliches Leben sei die Liebe zum Nächsten, so daß wir hinfort kein Gesetz haben noch jemandem etwas anderes schuldig sind als Lieben, Röm. 13,8; auf daß wir ebenso unserm Nächsten Gutes tun, wie uns Christus durch sein Blut getan hat. Deshalb sind alle Gesetze, Werke und Gebote, die von uns gefordert werden, um Gott damit zu dienen, daß wir Sünde abbüßen, nicht aus Gott, und wer sie hält als da sind Fasten, Feiern, Beichten, Wallfahrten, Stiftungen usw. -, der verleugnet Christus. Doch die Gesetze, Werke und Gebote, die von uns dem Nächsten zu Dienst gefordert werden, die sind gut, die sollen wir tun, wie der weltlichen Gewalt in ihrem Regiment gehorchen, folgen und dienen, die Hungrigen speisen, den Bedürftigen helfen usw.

Daraus folgt: Weil Beichten ein Werk ist, das nicht auf den Nächsten gerichtet ist, und weil ihm damit nicht gedient wird, ist es in keiner Weise geboten oder notwendig zu halten. Und wer es so tut, als sei es notwendig und als müsse er es vor Gott tun, der verleugnet abermals Christus. Denn es kann durchaus kein Werk notwendig bleiben gegen die Sünde, weil allein Christi Blut die Sünde tilgt.

Darum ist die dritte, vierte und fünfte These des Pfarrers unchristlich und frevelhaft aufgesetzt, die Gewissen zu binden und Christi Blut mit Füßen zu treten, nur damit ihm der Beichtpfennig nicht entgehe.

Wahr ist, daß ich gesagt habe. Beichten sei ein gutes Ding. Ebenso wehre ich nicht dem Fasten, Wallfahrten, Fischessen, Feiern usw. Aber doch so, daß dies frei geschehe und niemand es so tue, als müsse er es tun um des Gewissens willen und weil er sonst die Gefahr einer Todsünde liefe, wie der Papst mit seinen Blindenführern tobt. Das Gewissen wollen und sollen wir frei haben in allen Werken, die nicht dem Glauben oder der Liebe zum Nächsten dienen. Beichte nur getrost, faste fröhlich, wenn du willst, aber denke nicht, es müsse sein und du tuest Sünde, wenn du es läßt, oder du könntest vor Gott damit deine Sünde sühnen. Denn mit solcher Meinung fällst du vom Glauben und bist nimmermehr ein Christ.

Weil es nun viele schwache Gewissen gibt, die in den Papstgesetzen gefangen liegen, so ist es wohlgetan, wenn du kein Fleisch ißt usw. Denn dies Kein-Fleisch-Essen wird dann ein Werk der Liebe, weil du damit deinem Nächsten dienst, um seiner Lebensweise zu folgen und sein Gewissen zu schonen. Wenn aber dein Nächster sich daran nicht stößt oder nicht sieht, daß du Fleisch ißt, dann darfst du Fleisch essen ohne Rücksicht auf den Papst. Denn hier zielt das Werk nicht mehr auf die Liebe und auf Dienst am Nächsten, darum brauchst du es nicht zu halten, es gelüste dich denn, es aus freiem Willen zu tun.

Solche Ordnung der Werke in der Liebe sind wir schuldig, aber die Werke um ihrer selbst willen sind wir nicht schuldig. Wo aber freche Treiber und nicht schwache Gewissen auftreten und eine Notwendigkeit oder ein Gesetz daraus machen wollen, da soll und muß man ihnen zum Trotz das Gegenteil tun, auf daß nicht den Werken, sondern allein dem Blut Christi die Ehre bleibe, Sünde zu tilgen und fromm zu machen.

Dies habe ich, meine Allerliebsten, in Eile auf die unverständigen Thesen Eures Seelentyrannen um der schwachen Gewissen willen antworten wollen. Weitere Gründe und Erklärungen mögt Ihr in meinen Büchlein von der christlichen Freiheit, von den guten Werken, von den Klostergelübden, von Menschenlehre zu meiden usw. nachlesen. Obwohl ich wollte, daß jedermann St. Paulus läse und hörte, der das alles in seinen Briefen so reichlich lehrt, so daß meine oder anderer Leute Bücher nicht nötig wären. Gott aber verleihe Euch rechtschaffene und evangelische Lehre und daß sein Wort bei Euch Frucht bringe zu Lob und Ehre der unaussprechlichen Gnade Gottes durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen. Betet für mich, meine Liebsten. Gegeben zu Wittenberg am Sonntag nach Dionysius, 1523.

Martinus Luther