Zwingli, Huldrych – An Johannes Vannius, Prediger zu Constanz.

Zürich d. 29. Oktbr. 1526.

Gnade und Friede vom Herrn! Man schließt, daß Du krank darnieder liegst, theuerster Vannius; dieses Leiden rührt uns nicht wenig, denn wir wissen wohl, wie schmerzlich sein Paroxismus ist. Allein auf diese Weise übt und macht Gott mürbe, er peinigt Dich, edles und treues Werkzeug des Evangeliums, also, um zu prüfen, ob Du ihn von ganzem Herzen liebest; uns aber versucht er, ob wir mitleiden können, wenn ein Glied leidet. Deßhalb kannst Du dadurch, daß Du es trägst, denjenigen zum Mitleiden bewegen, welcher tödtet und wieder erquickt, in dessen Hand alles steht. Denn wenn er das Kreuz nicht zu unserem Besten schicken würde, hätte er nicht gesagt: „alle Haare eures Hauptes sind gezählt;“ und sein Apostel würde uns nicht so deutlich eben hierüber berichten, da er spricht: „wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ Nun aber bleibt uns eben dieß, was uns seine Weisheit zum Glück widerfahren läßt, häufig verborgen, so lange es noch nicht zum Ziele gelangt ist; aber wenn wir den Ausgang haben, dann merken wir erst, warum er es gethan hat. Ich selbst rede unter den so vielen Verwirrungen in der Welt, bei dem jetzt Alles erschütternden Sturm unserer Stadt, bei der Pest oder einer Krankheit selbst mit häufigen Seufzern davon, wie er uns übel geneigt sei, doch Alles umsonst, ich predige tauben Ohren. Wenn aber der Ausgang herbeikommt, dann werden wir durch einen Spiegel und ein Gitter sehen, zu welchem Nutzen er Jegliches austheilte. So ward auch Deine Krankheit zu Deinem Nutzen Dir auferlegt; dieß wirst Du aber einst erfahren. So viel hierüber. Neulich sagte mir ein Freund, in welch üblem Ruf ich bei Einigen stehe wegen der Scheinankläger oder vielmehr Verräther, an welchen diese Zeit so fruchtbar ist, als ob die Verfolgung derselben ursprünglich von uns ausginge. Dieß Gerücht würde ich, wenn es wahr wäre, so wenig abbitten, daß ich es mir vielmehr zum Lob und Ruhm rechnete, wenn ich nehmlich dieß Uebel vertilgen könnte. Wird dasselbe nicht gehoben, so wird es wenigstens unserer Stadt Verderben bringen. Allein es ist dem nicht also. Wir sind weder gewaltthätig, noch verursachen wir Lärm, sondern sind vielmehr einzig darauf bedacht, daß nicht Aufruhr und Verwirrung stattfinde. Grüße alle Brüder, hauptsächlich Zuiccius, Blaurer und Meulishofer, und sage, ich werde nächster Tage, sobald dieß Geschäft beendigt ist, schreiben. Schicke dieses Schreiben bei der ersten Gelegenheit unserem gemeinschaftlichen Freund und Bruder, Wilhelm von Cella, und genese, soviel der Herr gibt. Grüße auch Dein Weib.

Quelle:
Auserlesene geistvolle Briefe Der Reformatoren und sonstiger bedeutender Männer der evangelischen Kirche Zur christlichen Erbauung und Belehrung von C.E. Renner, evangelischem Pfarrer. Stuttgart. C. Cammerer (früher H. W. Beck’s Verlag.) 1862