Calvin, Jean – An Farel in Neuchatel

Zwischen Genf und den Nachbarkirchen bahnte sich eine Einigung an. Die Genfer Pfarrer wurden von den Andern anerkannt und begannen ihrerseits nun auf Kirchenzucht im Sinne ihrer Vorgänger zu dringen. Einige undurchsichtige Bemerkungen sind weggelassen.

Über die Lage in Genf. Heiratspläne.

Sei mir gegrüßt, bester, liebster Bruder. Was du mir in deinem letzten Brief meldetest, war mir angenehm zu vernehmen, wenn es auch großenteils nichts sehr Heiteres war. Aber es nicht zu wissen, macht auch nicht froh, und es zu wissen, ist nützlich. Auf Einzelnes zu antworten ist unnötig. – –

Aus dem, was sie [in Genf] anfangen, kann ich beurteilen, welchen Erfolg sie haben werden in der Besserung der kirchlichen Verhältnisse, wenn ihnen der Herr nicht unverhofft zu Hilfe kommt. Wenn unsere Nachfolger in guten Treuen dabei handeln, werden sie in kurzer Zeit merken, dass es schwerer ist, als sie gedacht haben. Vielleicht müssen sie uns schließlich selbst bezeugen, dass wir unser Amt gut und treulich geführt haben. Dass sie neben deinem Eifer sehr zurückhalten, ist nicht verwunderlich. Denn so warm sind sie noch nicht geworden, dass sie dich erreichen mit ihrem Laufen, selbst wenn du es dir bequem machst. Du aber sieh, was die Zeitlage fordert und was notwendig ist, und richte nach diesem Maß deinem Eifer ein. –

Dass Zebedee so unsanft behandelt wird, tut mir sehr leid. Auch bei Butzer, glaub´ es mir, kommen die nicht in Gunst, die seine Bücher so rechthaberisch verteidigen. Er selbst nimmt die Freiheit recht milde auf, mit der ich oft anderer Meinung bin als er. Darüber möchte ich aber lieber mit dir mündlich reden; und das kann geschehen, wenn du eine mäßige Anstrengung nicht scheust. Ich sagte Butzer auch, dass dir großes Unrecht geschieht, weil alle seine Freunde fortführen, dir Feind zu sein; die aber deine Freunde gewesen seien, um seinetwillen dir jetzt entfremdet seien. Er wurde betrübter, als ich gedacht hatte. Als er ein Mittel dagegen suchte, sagte ich, die Wunde sei gefährlich zu berühren, so solle er es lassen, bis uns eine bessere Gelegenheit erscheine.

Von meinen Heiratsplänen will ich nun offener reden. Ich weiß nicht, ob dir schon jemand vor Michels Abreise die Person erwähnte, von der ich schrieb. Aber jedenfalls weißt du, was ich an ihr suche. Denn ich gehöre nicht zu der verrückten Art von Liebhabern, die auch die Fehler [ihrer Geliebten] preisen, wenn sie einmal von der Schönheit hingerissen sind. Das ist die einzige Schönheit, die mich anlockt, wenn sie züchtig ist, gehorsam, nicht hochmütig, sparsam, geduldig, wenn ich auch hoffen darf, dass sie zu meiner Gesundheit Sorge trägt. Also wenn du es für zuträglich hältst, so gürte dich [zur Reise], dass nicht ein Anderer zuvorkomme. Bist du anderer Ansicht, so lassen wir das. Ich werde dir nicht mehr schreiben, bis du kommst. Du wirst uns allen sehr willkommen sein. Wohlan, du kannst durch diese Reise dein Gemüt wieder wunderbar frei machen. Es hindert dich aber nichts, doch noch zu schreiben, während du dich zur Reise vorbereitest. Alle lassen dich mehr als freundschaftlich grüßen, Capito, Butzer, Sturm, Bedrot, Gaspard und die Franzosen, die ich nicht nenne, weil du die Namen doch nicht behältst. Grüße mir alle Brüder. Der Herr erhalte Euch alle ihm und seiner Kirche unversehrt.

Straßburg, 19. Mai 1539.
Dein Calvin.

Calvin, Jean – An Andre Zebedee, Pfarrer in Orbe.

Zebedee, Pfarrer in Orbe, später in Nyon, war ein Hauptgegner der Einigungsbestrebungen zwischen Lutherischen und Reformierten.

Verteidigung der Lutherischen und vor allem Butzers.

Dein Brief, der mich auch sonst bestürzt machte, hat vor allem dadurch mich heftig erschreckt, dass ich daraus sehe, wie sehr du noch vor der Einigung einen Abscheu hast, die, wie ich glaube, für Jedermann ganz in Ordnung war. Da ich denke, du habest solche Abneigung nicht grundlos gefasst, so will ich, soweit es mir möglich ist, auf deine Einwendungen eingehen; und dann die Sache selbst kurz berühren. Du sagst, die Männer, deren Geist und Herz ich so rühme, und zwar die Unwichtigern wie die Bedeutenden, seien bei näherer Bekanntschaft meistens in ihrem Ansehen gesunken. Ich gebe das zu. Aber durch wessen Schuld! Du sagst: Wenns nur nicht ihre eigene war. Aber sieh zu, dass du Knechten Christi kein Unrecht tust, die du selbst in so bösem Verdacht hast, obwohl sie dir nicht den geringsten Anlass dazu boten. Butzer z. B. hat sich bei der Einigungsarbeit so benommen, dass viele laut schreien, sein Tun gefalle ihnen nicht; aber es kann niemand nur das Geringste sagen, worin er gefehlt. Ich weiß, welche Klagen über ihn man überall bei denen hört, die gegen die Einigung reden. Untersuchst du aber genauer, so ergibt sich, dass es nichts als leere Beschuldigungen sind. Verurteilen wir so leichthin einen Mann, der so außerordentliche Gaben empfangen und dessen Dienst Gott zu hochberühmten Ereignissen gebraucht hat, was soll dann denen geschehen, die sich bisher noch durch nichts bewährt haben! Wenn du auch weiterhin dir erlaubst, Unschuldige zu verdächtigen; dazu bringst du es nicht, dass ich Leute für unredlich halte und sie so nenne, deren Redlichkeit ich mit Augen sehe. Umsonst greifst du zu dem Gemeinplatz, Bewunderung für Menschen dürfe uns nicht von Gottes Wahrheit ablenken. Denn für keinen Menschen ist eine so verkehrte und blinde Bewunderung in mir vorherrschend, dass sie mich an klarem Urteil, geschweige an der Heiligkeit des Glaubens hindert. Auch Farel ist, das weiß ich, fester, als dass er in der Weise vom Wort Gottes getrennt werden könnte. Da aber alle, die auf Luthers Seite stehen, den Unsern, wie ich wusste, allzu großer Schlauheit verdächtig sind, wollte ich nicht haben, dass Farel sich mit ganz überflüssigen Bedenken plage. Denn was nützts, sich vor eines Mannes Verschlagenheit zu fürchten, wenn man doch seiner Ehrlichkeit ganz sicher sein kann. So werde ich nicht aufhören, [Butzers] Tüchtigkeit zu rühmen, dieselbe die ich auch an Melanchthon deutlich zu erkennen glaube. Ich gebe freilich zu, Einiges wünschte ich auch bei ihm anders; soweit bin ich davon entfernt, irgendjemand ganz auf seine Worte schwören zu lassen. Nur das ist mein Wunsch, dass wir alle uns hindernden [persönlichen] Vorurteile aufgeben, ruhig hinüber und herüber auf einander hören, und die sachliche Entscheidung uns vorbehalten, bis das Wahre gefunden ist. – Dass Butzer früher Gesagtes zurückgenommen hat, darüber brauchst du dich nicht so sehr zu entrüsten. Weil er geirrt hat in seinen Aussagen über die Bedeutung der Sakramente, hat er das mit Recht zurückgenommen. Ja, wenn doch nur Zwingli sich dazu auch entschlossen hätte, dessen Ansicht von dieser Sache ebenso falsch als gefährlich war! Als ich sah, wie viele der Unsern diese Ansicht Zwinglis beifällig aufnahmen, habe ich, damals noch in Frankreich, sie ohne Scheu bekämpft. Darin fehlt Butzer freilich, – ich gebe es zu -, dass er versucht, Ökolampads und Zwinglis Meinung so zu erweichen, dass er sie selbst schon fast Luther zustimmen lässt. Aber das werfen ihm die gar nicht vor, die sonst alles Andere an ihm gehässig übertreiben. Denn nichts liegt ihnen mehr am Herzen, als dass ja Zwingli ungetadelt bleibe. Ich aber wollte, sie gäben unter Verzicht auf so besorgte Verteidigung Gott die Ehre durch einfaches Eingestehen der Wahrheit. Dass in Zwinglis Lehre gar nichts Bedenkliches gewesen sei, gebe ich dir keineswegs zu. Denn das ist leicht zu sehen, dass er, zu sehr damit beschäftigt, den Aberglauben an fleischliche Gegenwart Christi auszurotten, auch die wahre Kraft der Gemeinschaft [mit Christo im Abendmahl] zugleich wegwarf, oder doch sicher verdunkelte. Das gerade musste aber mehr beleuchtet werden.

Nicht mit Unrecht ärgert es dich, dass Luther selbst gar nichts zurücknimmt, nichts mindert, sondern hartnäckig alles festhält. Aber was sollte Butzer tun? Du sagst, er hätte warten sollen. Aber besser wars doch, durch sein Beispiel Luther und die Andern an ihre Pflicht zu erinnern. Was soll da alle heilige Entrüstung? Denn wenn er seine Irrtümer zurückgenommen hat, dann darf er auch im Namen Gottes die Andern mahnen, dass sie ihrerseits verbessern, was sie Falsches gesagt haben. Was Luthers Buch gegen die Arianer enthält, weiß ich nicht, außer dass ich vom Titel auf den Hauptinhalt schließen kann. Wenn darin den Karlstadt gehörig durchbläute, so hat er darin nicht Unrecht. Darüber können sich seine Gegner doch nicht erzürnen; es sei denn etwa, dass es bedauerlich ist, wenn durch unnötiges Erinnern an Kämpfe der Vergangenheit die Geister erbittert werden. Dass freilich Karlstadt mit dem törichten Dogma [der Arianer] der Wittenbergischen Kirche zu schaffen machte, ist sicherer als sicher. Butzers lateinisches Buch habe ich nicht. Wenn darin solche Einschränkungen sich fänden [wie du schreibst], missfielen sie dir mit Recht und würden auch mir nicht besser gefallen, wenn ich sie läse. Aber es braucht nicht aus jeder Verschiedenheit der Meinungen ohne weiteres eine Trennung zu folgen, vielmehr auch wo dich dein Gewissen nötigt, irgendwie von seiner Meinung abzuweichen, musst du dir doch Mühe geben, dass eine brüderliche Gemeinschaft zwischen dir und ihm bleibt. Denn wir dürfen uns nicht leichthin von denen trennen, die der Herr zur Gemeinschaft an seinem Werk mit uns verbunden hat. Besonders bitte ich aber das von dir, dass, wie du die Wahrheit, in der du bisher fest gewesen bist, so standhaft festhältst, du auch nicht den Schein erweckst, als suchtest du absichtlich uneins zu werden mit denen, denen du das Ihrige nicht nehmen kannst, da du und alle Guten sie als Vorkämpfer unter den Dienern Christi achten müsst. Guter Gott, worauf komme ich zurück? Mit keinem andern Gefühl mussten wir einst uns von Dienern Christi trennen, als ob uns das Herz aus dem Leibe gerissen würde. Und nun solls fast ein Spiel sein, nicht irgendein Glied, sondern die wichtigsten Lebensorgane von unserer Genossenschaft abzuschneiden? Das überlege bei dir, so eilig und unordentlich ich es aufgeführt habe, und ertrage meine Freiheit mit billigem Sinn! Übrigens brauchst du für mich gar nichts zu fürchten. So gern ich in Todesgefahr gerettet werden möchte, so gewiss halte ich fest, was ich geschrieben habe.

Straßburg, 19. Mai [1539].