Calvin, Jean – An Bullinger in Zürich (318).

Vgl. 306. Butzer war am 28. Februar 1551 in England gestorben.

Gerüchte über die Abschaffung des Sonntags in Genf. Butzers Tod.

Dass du dem leichtfertigen Geschwätz, wir hätten in Genf den Sonntag abgeschafft, keinen Glauben schenktest, war klug von dir. So ungeheuerliche Schwindeleien berauben sich ja schon durch ihre Absurdität der Glaubwürdigkeit. Dass du aber auch im Vertrauen auf unsere Mäßigung die Verleumdung, die uns aufgebrannt wurde, ernstlich zurückwiesest, damit hast du uns einen Freundes- und Bruderdienst geleistet. Denn ich müsste ja mehr als verrückt sein, wenn ich durch eine so alberne und leichtfertige Neuerung die Guten in Verwirrung brächte, den Bösen Waffen böte, mich selbst dem allgemeinen Spott aussetzte. Doch, was rede ich von mir? Ich glaube, es ist kein Mensch aus der ganzen Menge hier so unvernünftig, dass er je von so etwas geträumt hätte. Ich habe aber schon längst durch Erfahrung gelernt, derartiges Geschwätz zu verachten oder doch gleichmütig hinzunehmen. Es war ja bisher sozusagen mein eigentliches Schicksal, Tag für Tag mit so stinkender Verleumdung belastet zu werden. Vielleicht gab der eine Umstand Anlass zu dem Geschwätz, dass der Weihnachtsfesttag auf den darauf folgenden Sonntag verlegt wurde. Ob mit Recht oder Unrecht, darüber habe ich jetzt nicht zu entscheiden, und meinetwegen darfst du es freimütig verurteilen. Denn da es ohne meine Anregung, ja ohne mein Wissen beschlossen wurde, so darf es mir auch nicht angerechnet werden. Du wirst dich wundern, dass unsere Obrigkeit, ohne die Pfarrer zu Rat zu ziehen, so plötzlich die angenommene Kirchenordnung geändert hat. Doch ist auch das mehr aus Unachtsamkeit, als aus Eigensinn geschehen. Schon bevor ich das erste Mal nach Genf kam, waren alle Feiertage, mit Ausnahme des Sonntags, abgeschafft worden. Es hatte Farel und Viret nützlich geschienen, und ich fügte mich gern dem angenommenen Brauch. Ebenso wurde es damals auch im Waadtland, der neuen bernischen Vogtei, gehalten. Dagegen erhob sich Kuntz und kämpfte für die Feiertage nicht weniger heftig, als einst der Bischof Viktor von Rom für sein Osterdatum. Als wir dann verbannt wurden, führte man die vier Feiertage neben andern rituellen Änderungen ein. Bei meiner Rückkehr hätte ich in einem Augenblick unter dem Beifall der Mehrheit umstürzen können, was in meiner Abwesenheit beschlossen worden war, aber ich fügte mich ganz gelassen darein; nur darüber konnte ich nicht schweigen, dass es verkehrt sei, den Tag der Beschneidung Christi zu feiern und den Todestag nicht; das sei von ungelehrten Leuten ohne rechtes Verständnis und Sinn so gemacht worden. Weil das Volk auch den Tag der Empfängnis Christi unter dem Namen eines Marienfestes feierte, zog ich jedes Jahr gegen diesen Aberglauben scharf los. Denn die Franzosen nennen in ihrer Sprache diesen Tag das Fest unsrer lieben Frau im März, und der Tag wird gemeiniglich für besonders heilig gehalten. Doch mäßigte ich mich so weit, dass ich sogar die im Zaum hielt, die schrieen, diese Feiertage seien überhaupt abzuschaffen. Denn die Genfer, die von Anfang an dem Evangelium die Ehre gegeben hatten, trugen die nachträglich eingeführte Neuerung [der vier Feiertage] so ungern, dass sie zuweilen selbst mir den Vorwurf der Lauheit nicht ersparten. Einmal kams auch bis zu Gewaltätigkeiten, da auf beiden Seiten eine unbändige Kampflust herrschte. Ein vermittelnder Weg dünkte uns richtig; morgens sollte bei geschlossenen Werkstätten gefeiert werden, nach dem Mittagessen aber jedermann an seine gewöhnliche Arbeit gehen. So wurde vor neun Jahren beschlossen. Aber auch so wurde der Streit nicht gestillt. Denn das verschiedene Verhalten, dass die einen die Geschäfte geschlossen hielten, die andern sie öffneten, verriet immer noch die hässliche Uneinigkeit. Da so kein Ende noch Abhilfe zu finden war, ging ich im verflossenen Jahr aufs Rathaus und ersuchte den Rat, er möge nach seinem klugen Ermessen eine Weise erdenken, das Volk in besserer Eintracht zu erhalten. Von der Abschaffung der Feiertage sprach ich eigentlich gar nicht; vielmehr billigte ichs sogar, dass man sich bisher aus Friedensliebe der Berner Sitte angepasst habe. Als ich dann hörte, die Festtage seien durch Volksbeschluss abgeschafft, überraschte mich dieser unerwartete Entscheid so, dass ich ganz starr war vor Staunen. Hätte man mich um meine Meinung gefragt, so kann ich gewiss nicht anders sagen, als dass ich kaum gewagt hätte, das zu beschließen.

Du siehst aus dem ganzen Zusammenhang der Geschichte, dass nichts Neues eingeführt, sondern ein früherer Brauch der Genfer Kirche wiederhergestellt worden ist, der einst nach bösem Beispiel tumultuös abgeschafft worden war; ja dass das sogar wider meine Meinung geschehen ist. Genf war auch nicht die einzige Kirche, die keinen Feiertag außer dem wöchentlichen festgehalten hat; denn auch zu Straßburg war es einst so geordnet worden. Ich durfte bei meiner Ankunft hier die wohl eingerichtete Ordnung nicht in Unordnung bringen. Auch jetzt scheint mir die nachträglich wiederhergestellte Ordnung kein Grund zu sein zu solchem Ärgernis. Läge aber eine Schuld vor, so wäre es unbillig, mich zu beschuldigen für das, was andere getan haben.

Der Bote aus England ist noch nicht zurück. Doch erfuhr ich unterdessen zu meinem großen Schmerz den Tod Butzers. Wie wünschte ich, dass wir nicht bald spüren müssten, welcher Verlust das für die Kirche Gottes ist! Ich schätzte schon zu seinen Lebzeiten seine hervorragende und herrliche Begabung hoch genug; wie nützlich er uns auch jetzt noch sein könnte, erkenne ich nun noch deutlicher aus dem Gefühl des Verwaistseins. Umso mehr treibts mich, den Herrn zu bitten, er möge Euch alle sich noch lang erhalten und Euer Wirken brauchen. Lebwohl, hochberühmter Mann und verehrter Bruder. Grüße alle Amtsbrüder angelegentlich. Meine Kollegen lassen Euch vielmals grüßen.

23. April 1551.
Dein
Johannes Calvin.

Calvin, Jean – An Bullinger in Zürich (317).

Vgl. 312 und .316. Von einer Reise nach Trient redet Calvin natürlich nur ironisch.

Allerlei über kirchliche und weltliche Politik.

In wenigen Tagen habe ich zwei Briefe von dir erhalten, beide voll des außerordentlichsten Wohlwollens gegen mich und mir deshalb sehr lieb. Es ist gut, dass Gott nicht nur uns beiden den gleichen Gedanken gegeben, den König von England und seine Räte zum Fortfahren anzuspornen, sondern, dass ers auch so gefügt hat, dass unsere Ratschläge so gut unter sich zusammenpassen. Das wird hoffentlich etwas zu ihrer Verstärkung beitragen. Die Rückkehr des Boten, der meine Bücher samt dem Brief nach England brachte, beginne ich von Tag zu Tag zu erwarten. Sobald er da ist, will ich sorgen, dass du es erfährst, wenn er etwas Berichtenswertes mitbringt. Unterdessen habe ich auch an den erlauchtesten Herzog von Somerset geschrieben und ihm gezeigt, dass es nicht anders sein könne, als dass die Papisten übermütig würden, wenn nicht der Streit über die Zeremonien bald beigelegt werde. Ich mahnte ihn also, Hopper die Hand zu bieten. Was der Papst auch vorgibt, so glaube ich doch nicht, dass im Ernst das Konzil zu Trient wieder einberufen wird. Der Grund dieser Vermutung ist mir ein Erlass des Königs von Frankreich an alle seine Bischöfe, es solle jeder seine Diözese eifrig visitieren. Die Visitationsakten sollten in einem halben Jahre fertig gestellt und den Erzbischöfen eingereicht werden, da der König im Sinne habe, ein französisches Nationalkonzil abzuhalten. Trient und der Papst werden darin gar nicht erwähnt. Doch zweifle ich nicht daran, dass ein abgekartetes Spiel zwischen König und Papst getrieben wird. Nämlich der Franzose soll dem Papst zu Gefallen durch die Vorspiegelung eines Nationalkonzils das von Trient auflösen. Kluge Leute meinen, in Italien sei die Kriegsfackel bereits in Brand. Es ist ein türkischer Gesandter am französischen Hof, um den König zum Krieg zu treiben. Eine mächtige Flotte bedroht Italien oder Spanien. So wird der Herr diese Mächte in Atem halten, dass sie die Kirche nicht so sehr belästigen können. Da du doch weißt, dass ich nach Trient über Zürich reisen muss, so ists nicht freundlich von dir, dass du uns nicht einmal für einen Tag einlädst. Aber du wartest wohl nur auf eine neue päpstliche Bulle, die uns [zum Konzil] zulässt. Doch gehören wir leider nicht zu denen, die nach Recht, Gewohnheit oder besonderer Vergünstigung des heiligen, apostolischen Stuhls einen Sitz beanspruchen dürfen. So können wir denn ruhig zu Hause bleiben. Freilich haben wir zu Hause auch zu tun, denn Christus gibt uns genug zu arbeiten und Satan lässt uns nicht müßig bleiben.

Entschuldige mein eilfertiges Schreiben. Denn die deutschen jungen Leute, die mir ihren Botendienst antrugen, ließen mir nur eine Stunde Zeit zum Schreiben, und die ist nun gleich herum. Lebwohl, hochberühmter Mann und mir von Herzen hochverehrter liebster Bruder. Meine Kollegen lassen dich ehrerbietig grüßen. Richte auch von mir und ihnen den Herren Bibliander, Pellikan und Gwalther, sowie den übrigen Brüdern viele Grüße aus. Der Herr behüte Euch alle mit seinem Schutz, leite Euch mit seinem Geist und lasse Euer Wirken gedeihen. Der Consensus ist hier im lateinischen Text weniger sorgfältig gedruckt worden, als ich wollte; doch wird er bald neu gedruckt werden. Eine französische Übersetzung habe ich dem lateinischen Text beigefügt, in der dich kein Fehler ärgern wird.

Genf, 10. April 1551.
In Wahrheit dein
Johannes Calvin.

Keßler, Johannes – Brief an Bullinger über den Tod Vadians

Nachdem Vadian alle seine weisen Verordnungen bezüglich seines Todes getroffen hatte, wandte er sich ausschließlich zu frommer Betrachtung der hl. Schrift. Oft besuchte ich den theuren Vater, bald von ihm gerufen, bald aus freien Stücken, denn ich wußte, daß ihm meine Gegenwart nicht unlieb sei, nicht als ob er irgend meines Zuspruchs bedurft hätte, sondern weil er mit seinem frommen Sinn traulich mit mir verkehrte und damit ich seine gelehrten Reden vernehme und, so lange es mir vergönnt sei, aus seiner Gelehrsamkeit und Menschenfreundlichkeit Trost schöpfe. Fiel unser Gespräch auf irgend einen trostreichen Spruch der Schrift, so pflegte er sofort mit gefalteten Händen und zum Himmel gerichteten Blicken Gott, dem Vater Dank zu sagen für seine in Christo uns erwiesenen Wohlthaten, und er war mit sich unzufrieden, wenn er nicht alle solche Stellen der Schrift im Gedächtniß behalten hatte. Unter Anderem ließ er sich die Abschiedsreden Jesu und ebenso einige Kapitel des Briefs an die Hebräer vorlesen. Als wir dieses thaten, großer Gott, mit welchem Ernst und welcher Gelehrsamkeit sprach er über das ewiggiltige Opfer Christi! Du hättest einen Schwanengesang zu hören geglaubt, theuerster Bullinger!

Zuweilen überkam ihn auch der Aerger über den abscheulichen Greuel der Meßpriester, welche den Opfertod Christi so gotteslästerlich entweihen. So beharrte er bis zum Tod im Bekenntniß der wahren und in der Verabscheuung der falschen Religion und blieb sich selbst so ganz und gar gleich, daß man an seiner Beredtsamkeit, Gelehrsamkeit und Verstandsklarheit nichts vermißte, nur daß seine Stimme schwächer wurde. Mit einer eines Christen würdigen Gelassenheit ertrug er die Schmerzen, welche ihm namentlich die Nervenspannung zwischen den Schultern verursachte. Er begehrte für seinen brennenden Durst kaltes Wasser, was ihm von Kindheit an der liebste Trank war; da man es ihm nicht geben durfte, um nicht seine Schmerzen noch zu steigern, erquickte er die Lippen seiner dürstenden Seele in vollen Zügen aus jener Heilsquelle lebendigen Wassers, zu welcher Christus die Samariterin und lange zuvor alle Dürstenden durch den Propheten Jesaiam gewiesen hatte. Um die Wiederherstellung seiner Gesundheit machte er sich keine Sorgen, indem er gleich von Anfang seiner Krankheit an alles Irdische bei Seite legte, denn als erfahrener Arzt fühlte er wohl, daß diese Krankheit zum Tode führe; doch wies er Arzneien oder Mittel, die man ihm verordnet und gegeben hatte, nicht zurück. Und als er sich in seinen Kräften bereits ganz erschöpft fühlte, nahm er das Büchlein des Neuen Testaments, das ihm stets als Handausgabe gedient hatte, und sprach: Nimm, mein Keßler, dieses Testament, das mir mein liebster Besitz auf Erden war, zum ewigen Gedächtniß unserer Freundschaft! Und als er gegen das Ende hin zu sprechen aufhörte, bezeugte er noch mit Geberden seinen Glauben, ergriff, während ich Christum, der für uns genug gethan, anrief, mit seiner rechten meine Hand, sei es, daß er mir beistimmen oder Abschied sagen wollte, und verschied sanft in dem Herrn den 6. April, welcher der Montag nach dem Sonntag Quasimodogeniti war, zwischen zwölf und ein Uhr Mittags im Jahr 1551, im Alter von 66 Jahren vier Monaten und 6 Tagen, nachdem er neun Mal das Amtsbürgermeisteramt verwaltet. Er wurde auf dem Begräbnißplatz seiner Väter und Vorältern bestattet unter großer Wehklage seiner Vaterstadt, die wohl erkannte, wie viel sie mit diesem Vater der Vaterstadt an Zierde und Nutzen verloren habe.

Quelle:
Leben und ausgewählte Schriften der Väter und Begründer der reformirten Kirche. Herausgegeben von Dr. J.W. Baum, Professor in Straßburg, R. Christoffel, Pfarrer in Wintersingen, Dr. K.R. Hagenbach, Professor in Basel, Dr. H. Heppe, Professor in Marburg, K. Pestalozzi, Pfarrer in Zürich, Dr. C. Schmidt, Professor in Straßburg, Lic. E. Stähelin, Pfarrer in Basel, Lic. K. Sudhoff, Pfarrer in Frankfurt a.M., u. A. Eingeleitet vpm Dr. K. R. Hagenbach. IX. (Supplement=)Theil: J. a Lasco, L. Judä, F. Lambert, W. Farel und P. Viret, J. Vadian, B. Haller, A. Blaurer Elberfeld Verlag von R. L. Friderichs 1861