Luther, Martin – Brief an Staupitz, Februar 1521

Wittenberg, den 9. Februar 1521

Segen von Jesus Christus! Ehrwürdiger Vater! Es ist mir unklar, daß mein Brief und meine Bücher noch nicht in Eure Hände gelangt sein sollen, wie ich aus Eurem Schreiben entnehme.

Um heute mit mir selbst zu beginnen, so will ich andern predigen, und verdiente doch selbst geistliche Zucht, so sehr entfremdet mich das Leben in der Welt mir selber. Wes Geistes aber auch jetzt noch mein Dienst am Worte Gottes ist, erseht ihr aus den Schriften, die ich Euch sende. In Worms hat man noch nichts gegen mich vorgenommen, obwohl die Papisten in höchstem Grimm ihre Anschläge gegen mich betreiben. Immerhin soll das Evangelium dort, wie Spalatin schreibt, noch soviel Achtung genießen, daß er hofft, man wird mich nicht ungehört und unüberführt verurteilen.

Emser hat sich aller Scham entblößt und schreibt in Leipzig ein Buch gegen mich, das von Anfang bis zu Ende eine einzige große Lüge darstellt. Auf diese Mißgeburt muß ich um des Herzogs Georg willen antworten, den jene Alberheiten in seinem Starrsinn bestärken.

Es ist mir eine Freude, zu vernehmen, daß Papst Leo auch Euch angreift. So werdet auch ihr das Kreuz, das Eure Predigt so schön verkündigt hat, selber für die Welt zum Beispiel aufrichten können. Denn ich möchte nicht, daß dieser Wolf mit Eurer Antwort sich zufrieden gäbe; habt Ihr ihm doch mehr eingeräumt, als recht und billig ist. Denn er kann sie so deuten, als wolltet Ihr mich und alle meine Sätze damit schlechthin verleugnen, indem Ihr Euch seiner Richtergewalt unterordnet. Wenn Euch darum Christus lieb hat, muß er Euch zum Widerruf dieser ersten Antwort dringen. Verdammt der Papst doch in seiner Bulle alles, was Ihr bisher von Gottes Barmherzigkeit gelehrt und geglaubt habt.

Da Euch aber dies nicht unbekannt war, so beleidigt Ihr meiner Überzeugung nach Christum, indem Ihr den Richterspruch eines Menschen anruft, den Ihr in wilder Feindschaft gegen Christus wider das Wort von der Gnade wüten seht. Dies hättet Ihr frei bekennen müssen und dieser Gotteslästerung ihn überweisen sollen. Denn es ist jetzt nicht die Zeit, bange zu sein, sondern laut die Stimme zu erheben, jetzt, wo unser Herr Jesus Christus verdammt, beraubt und gelästert wird. In demselben Maße, wie Ihr mich zur Demut ermahnt, mahne ich deshalb Euch, stolz das Haupt zu erheben. Denn bin ich allzu hochmütig, so seid Ihr zu demutsvoll.

Bei Gott, es ist jetzt ein Ernst. Christus selber müssen wir leiden sehen. Bisher war es vielleicht recht, demütig still zu schweigen, jetzt aber, da durch alle Lande unser liebster Heiland, der sich für uns hat dahingegeben, zum Gespötte geworden ist: sollen wir da nicht für ihn kämpfen? Sollen wir nicht unser Leben in die Schanze schlagen? Lieber Vater, die Gefahr ist größer, als viele glauben. Hier gewinnt das Evangelium Geltung: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will auch ich bekennen vor meinem Vater, wer sich aber meiner schämt, des werde ich mich auch schämen.“

Mag man mir Stolz und Geiz, Ehebruch und Mord, Feindschaft gegen den Papst und jedwedes Laster nachweisen, wenn man mich nur nicht des widergöttlichen Stillschweigens beschuldigen kann, während Christus leidet und klagt: „Ich kann nicht entfliehen, niemand nimmt sich meiner Seele an. Und ich schaue zur Rechten, aber niemand will mich kennen.“ Denn ich hoffe, daß ich um dieses meines Bekenntnisses willen von allen meinen Sünden losgesprochen werden muß. Darum habe ich voll Vertrauen meine Hörner gegen diesen römischen Abgott und wahren Antichrist erhoben. Nicht ein Wort des Friedens, ein Wort des Schwertes ist das Wort Gottes. Aber ein Blinder wie ich braucht keinen Sehenden wie Euch zu belehren.

Ich wage, so vertraulich an Euch zu schreiben, weil ich befürchte, Ihr möchtet Euch zwischen Christus und den Papst stellen wollen, wo ihr doch seht, wie erbittert sie einander befehden. Laßt uns aber beten, daß der Herr mit dem Geist seines Mundes diesen Sohn des Verderbens binnen kurzem umbringe. Wollt Ihr mir auf diesem Wege nicht folgen, so laßt mich hingehen und meinem Schicksal folgen; ich werde durch die Gnade Christi dem Ungeheuer seine Ungeheuerlichkeit mutig ins Gesicht sagen.

Wahrlich, Eure Unterwerfung hat mich tief betrübt. Sie hat mir einen ganz anderen Staupitz gezeigt als den, der Gnade und Kreuz so mutig verkündigte. Und hättet Ihr noch vor der Veröffentlichung jener Bulle und vor jener Schändung Christi so gehandelt, hättet Ihr mich nicht so sehr betrübt.

Hutten und viel andere schreiben tapfer für mich, und täglich erscheinen Lieder, die dem neuen Babel wenig Freude machen werden. Unser Fürst handelt ebenso klug und gläubig als standhaft. Auf sein Geheiß lasse ich meine Verteidigung deutsch und lateinisch verbreiten.

Philippus grüßt Euch und fleht ein mutigeres Herz für Euch vom Himmel herab. Bringt meinen Gruß dem Arzt Doktor Ludovicus, der mit großer Gelehrsamkeit an mich geschrieben hat. Ich habe keine Zeit, an ihn zu schreiben, da ich allein drei Pressen in der Druckerei zu versehen habe. Lebt wohl und betet für mich.

Wittenberg am Tage St. Apolloniae 1521

Euer Sohn Martinus Lutherus

Quelle:
Der Gärtner Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus Organ freier Evangel. Gemeinden in Deutschland und der Schweiz Verantwortlicher Herausgeber: F. Fries in Witten 17. Jahrgang Bonn 1909 Verlag: Johannes Schergens G.m.b.H. Bonn a. Rhein

Luther, Martin – Brief an Staupitz, Januar 1521

Wittenberg, den 14. Januar 1521

Heil von Christo voran! Verehrungswürdigster Vater! Als wir bei unserm Zusammensein in Augsburg uns verschiedentlich über meine Sache besprachen, sagtet ihr unter anderem zu mir: „Seid eingedenk, Bruder, daß ihr dies Werk im Namen unseres Herrn Jesu Christi angefangen habt!“ Und das war nicht Euer Wort, sondern Gott sprach durch Euren Mund, und ich habe es treu im Herzen bewahrt.

So sind es eure eigenen Worte, mit denen ich euch heute bitte: Seid auch ihr eingedenk, daß ihr einst jenes Wort zu mir gesprochen habt. Bisher war es ja nur Scherz und Spiel, nun aber wird es bitterer Ernst, und wie ihr gesagt habt, wo Gott nicht das Werk hinausführt, so ist es unmöglich, es zu Ende zu führen. Sichtlich liegt nun alles allein in Gottes Hand; niemand kann das noch leugnen. Wer will hier raten? Was vermöchten Menschengedanken? Der Aufruhr steht in hellen Flammen, und ein Ingrimm lodert auf beiden Seiten, daß es aussieht, als könne er kaum am jüngsten Tage gedämpft werden.

Das Papsttum ist nicht mehr wie gestern und ehegestern, und mag es auch bannen und Bücher auf den Scheiterhaufen schichten und mag es mich selber töten, so stehen doch auf jeden Fall große Ereignisse vor der Tür. Wie gut wäre es für den Papst gewesen, wäre er darauf ausgegangen, mit guten Mitteln zum Frieden zu wirken und nicht mit roher Gewalt des Luther Verderben zu suchen. Unter Zagen und Beten habe ich die päpstlichen Bücher und seine Bannbulle verbrannt; jetzt aber bin ich darüber froher, als je über eine Tat in meinem ganzen Leben. Denn sie sind verderblicher, als ich zu glauben wagte. Denn sie sind verderblicher, als ich zu glauben wagte.

Emser schreibt von Leipzig aus gegen mich in deutscher Sprache auf Veranlassung des Herzogs Georg. Dieser speit gegen mich Wut und Galle und verfolgt sein Ziel durch die verruchtesten Unterhandlungen bei Hofe.

Der Kaiser hat mich durch ein Schreiben an den Kurfürsten vorgeladen; dieser hat es aber abgeschlagen, und auch der Kaiser hat alsbald in einem zweiten Briefe den ersten widerrufen. Gott allein weiß, was daraus werden soll. Unser Vikarius Wenzeslaus Link ist nach Nürnberg gereist. Teschius war in Grimma und soll von da fort sein; der Herr schütze ihn. Bei uns steht noch alles in schönster Blüte, wie bisher. Hutten hat die Bulle mit den beißendsten Bemerkungen wider den Papst angegriffen und trägt sich noch mit mancherlei Plänen über diesen Gegenstand.

Meine Werke sind dreimal verbrannt worden, in Löwen, in Köln und in Mainz. In der letztgenannten Stadt waren die Leute, die es vollzogen, großer Verachtung und sogar Lebensgefahr ausgesetzt. Auch Thomas Murner hat eine wütende Schrift gegen mich verfaßt. Den barfüßigen Esel zu Leipzig lasse ich links liegen.

Lebt wohl, teurer Vater; betet für Gottes Wort und für mich. Ich bin ein Spiel der Wogen, die mich fortreißen und umhertreiben.

Wittenberg am Tage Felicis 1521

Martinus Lutherus, Augustiner

Quelle:
Der Gärtner Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus Organ freier Evangel. Gemeinden in Deutschland und der Schweiz Verantwortlicher Herausgeber: F. Fries in Witten 17. Jahrgang Bonn 1909 Verlag: Johannes Schergens G.m.b.H. Bonn a. Rhein

Luther, Martin – Schrift an Doctor Staupitz, Vicarium ec. – Von dem Wörtlein Buße (Trinitatis 1518)

Dem Ehrwürdigen HErren und meinem rechtschaffenen Vater in Christo, Johann Staupitz, der Heiligen Schrift Doctoren, und Vicarien der Augustinianer Vater ec.

Ich bin wohl eingedenk, Ehrwürdiger Vater, daß unter anderen Ew. Ehrwürden holdseligen und heilsamen Reden, durch welche der Herr Jesus mich wunderbarlich pfleget zu trösten, auch einst dieses Worts Buße gedacht ward, welches wir von Ew. Ehrwürden höreten und mit solchen Freuden annahmen, als wäre es uns vom Himmel herab eröffnet. Nämlich, daß das rechte wahre Buße wäre, welche an der Liebe der Gerechtigkeit und Gottes anfähet, und daß das Ende und Vollkommenheit der Buße, wie die Papisten davon reden, vielmehr zu nennen ist der Anfang der Buße. Durch welches Wort wir auch verursachet worden, ein groß Mitleiden zu haben mit den armen hochbetrübten Gewissen, welchen durch die Stockmeister (sollt sagen Beichtväter) unzählich viele, dazu unträgliche Gebote aufgeladen, auch Weise oder Form (wie sie es nennen) zu beichten vorgeschrieben sind.

Daher mir auch dieses Wort Buße in meinem Herzen haftete wie ein scharfer Pfeil eines Helden, also, daß ich bald drauf fiel, und es gegen die Sprüche der Schrift, die von der Buße lehren, hielte und befand, daß dieselben Sprüche übereinstimmten miti Ew. Ehrw. Rede, daraus ich solchen Trost empfing, daß das Wort Buße von derselben Zeit an mir angenehm, lieblich und tröstlich zu hören war, das ich zuvor nicht ohne Schrecken konnte hören nennen. Denn es däuchte mich, es wäre kaum ein harter, schrecklicher Wort in der ganzen Schrift, denn eben das Wort Buße; gleichwohl stellte ich mich oft vor Gott, als liebte ich ihn, unterstand mich auch dasselbe mit der That zu beweisen; aber es war nicht recht, sondern erdichtete und erzwungene Liebe. Also werden und süße und lieblich Gottes Gebote, wenn wirs nicht allein in Büchern lesen, sondern in den Wunden unsers lieben süßen Heilandes Jesu Christi lernen verstehen.

Ueber das trug sichs weiter zu, daß ich durch Fleiß und Anleitung trefflicher gelehrter Männer, die durch Gottes Gnade Griechische und Ebräische Sprache uns fleißig und treulich lehrten, verstund, daß das Wort Buße nach und aus dem Griechischen heiße Besserung und Erkenntniß seines Unglücks nach empfangenem Schaden und erkanntem Irrthum, welches unmöglich ist zu thun, es werde denn der Mensch anders gesinnet, und gewinne Liebe zur Gerechtigkeit. Welches lles mit St. Pauli Theologia und Meinung so fein übereinstimmt, daß mich dünkt, ich könne nun Paulum leichter und besser lesen und verstehen, denn zuvor. Zu dem bin ich so weit gekommen, daß ich sehe, daß das griechische Wort (im Latein Poenitentia) nicht allein heiße Veränderung des Gemüths und Herzens, sondern auch die Weise der Veränderung, welche geschieht durch die Gnade Gottes.

Da ich solchem fleißig nachdachte, konnte ich gewiß schließen, daß alle Lehrer vor dieser Zeit geirret hätten, die von den Werken der Buße so viel gehalten und so hoch erhoben, daß sie uns von der Buße nichts übrig gelassen haben, denn etliche kalte Satisfactiones, d.i. Genugthuungen und die leidige Ohrenbeichte; sind durch das lateinische Wort poenitentia bewogen und betrogen, daß Buße thun mehr laute auf unser Werk, denn auf des Herzens Aenderung, die durch Gottes Gnade geschiehet.

Da mein Herz mit solchen feinen Gedanken entbrannte, siehe da fingen an um uns her unversehens zu tönen, ja helle zu schallen neue Posaunen vom Ablaß, und Drommeten von Vergebung der Pein und Schuld, durch welche doch wir nicht ermahnet werden zu rechter geistlicher Kriegsübung. Kurz, da ward kein Wort gehöret von der Lehre der rechten Buße, sondern die Ablaßkrämer unterstanden sich so hoch zu heben und rühmen nicht die Buße noch ihr Theil, so man nennet Genugthuung, sondern ihr geringstes Theil, nämlich die Erlassung oder Vergebung der Sünden, also, daß sie hoch erhaben, zuvor nie erhört ist worden. Ueberdies lehreten sie auch das Volk viel gottlose, falsche, ketzerische Lügen mit solcher Gewalt (wollte sagen Vermessenheit, Frevel und Durst) daß, wer nur ein wenig dawider muckte, mußte bald ein Ketzer, zum Feuer verdammt, und schuldig sein des ewigen Fluchs.

Weil ich nun ihrer rasenden Unsinnigkeit nicht begegnen, viel weniger ihr steuern konnte, setzte ich mir vor, ihre lästerliche Lügen mit Maßen anzufechten, und ihre ungegründte Lehre in Zweifel zu bringen. Und habe dieß meines Vornehmens guten Grund; denn ich berufe mich auf aller Doktoren und der ganzen Kirche Urtheil, welche allzumal je und je gelehret haben, daß besser sey genugthun, denn Genugthuung erlassen, das ist, Ablaß lösen.

Derhalben habe ich öffentlich disputirt, das ist, Jedermann, hohes, mittelmäßiges, und niedriges Standes zu meinem großen Unglück, ja wider meinen Hals erreget, so viel diese Sache in der Hand und Gewalt dieser Eiferer für das liebe Geld (Ei! für die armen Seelen sollte ich sagen) stehet. Denn die Frömmigen sind mit allzugrober Listigkeit gefaßt, weil sie nicht können läugnen, daß, was ich gehandelt habe, recht sei, fahren sie zu, erdichten und sagen: die Gewalt des obersten Bischofs werde durch meine Disputation verletzt und verkleinert.

Das ist der Handel, ehrwürdiger Vater, daß ich nun mit großer Gefahr öffentlich an Tag hervor muß treten, der ich lieber in einem Winkel begehrte zu sitzen, mit Freude und Lust den fröhlichen Spielen zuzusehen, so vortreffliche hochgelahrte Männer etzt zu unserer Zeit unter einander üben, denn daß Jedermann auf mich sollte sehen und meiner spotten. Aber wie ich merke, so muß auch Unkraut unter Kohl sich sehen lassen, und schwarz unter das weiße gesetzt werden, auf daß es ein besser und zierlicher Ansehen habe.

Bitte derhalben, Ew. Ehrwürden wollte diese meine kindische Schrift freundlich annehmen, und dem frommen Pabst Leoni zuschicken, durch welcherlei Mittel Ew. Ehrwürden es zuwege können bringen, daß sie bei Sr. Heiligkeit, gleich anstatt eines Fürsprechers oder Beistands sei, wider die bösen Practiken der giftigen Ohrenbläser. Nicht daß ich dadurch Ew. Ehrw. in gleiche Gefahr gedenke zu führen; ich will allein auf meine Gefahr alles, was ich hierin thue, gethan haben. Christus mein Herr mag zusehen, ob dieser Handel, den ich führe, ihn oder Luthern belange, ohne welches Wirken und Willen auch des Pabsts Zunge nicht reden kann, was sie will, in welcher Hand auch des Königs Herz ist; denn das erwarte ich zum Richter, daß ers Urtheil spreche durch den römischen STuhl.

So viel aber meine zornigen Freunde, die mir hart drohen und nachstellen, belanget, weiß ich nichts zu antworten, denn das Wort Reuchlins: Qui pauper est nihil timet, nihil potest perdere 1). Ich habe weder Gut noch Geld, begehre auch der keins; hab ich gut Gerücht und Ehre gehabt, der mache es nun zu nicht ohne Unterlaß, der es angefangen hat. Der einige nichtige Leib, durch viel und stete Gefahr und Unglück geschwächt, ist noch übrig; richten sie denselben hin durch List oder Gewalt, Gott zu Dienst, thun sie mir wahrlich einen sehr großen Schaden, verkürzen mir die Zeit meines Lebens irgend eine Stunde oder zwei, und helfen mir desto eher gen Himmel.

Ich lasse mir gnügen, daß ich an meinem lieben Herren Jesu Christo einen süßen Erlöser und treuen Hohenpriester habe; den will ich loben und preisen, so lange ich lebe. So aber Jemand mit mir ihm nicht singen oder danken will, was gehet michs an? Geliebets ihm, so heule er bei sich selbst allein. Er der HErr Jesus bewahre und erhalte Ew. Ehrw. mein liebster Vater ewiglich. Zu Wittenberg gegeben am Tage der heiligen Dreifaltigkeit.

Br. Martin Luther Ew. Ehrw. Discipul.

Quelle:
Schriften Doctor Martin Luthers Für das deutsche christliche Volk Eisleben 1846. Druck und Verlag von Georg Reichardt

Luther, Martin – An Staupitz. Aus dem Lateinischen. Wittenberg den 31. März 1518

Segen von Christo zuvor! Im Herrn geliebter Vater! Wegen meiner Überbürdung mit Arbeit kann ich Euch nur ganz kurz schreiben. Zunächst glaube ich Euch aufs Wort, daß mein Name in weiten Kreisen in üblem Geruch steht. Denn die braven Leute legten mir schon längst zur Last, daß ich Rosenkranz-, Kronen-, Psalter- und andere Gebete, ja überhaupt alle guten Werke verworfen hätte. So ist es auch St. Paulo von denen ergangen, die behaupteten, daß er lehrte: „Lasset uns Übles tun, auf daß Gutes daraus komme!“ Was mich betrifft, so folge ich der Theologie, die sich bei Tauler und in dem Büchlein1) findet, das Ihr neulich bei unserm Wittenberger Christian Döring zum Druck gegeben habt, und so lehre ich, daß Christen auf nichts andres ihr Vertrauen setzen sollen denn allein auf Jesus Christus, nicht auf Gebete oder Verdienste oder gar ihre guten Werke, weil wir nichts durch unser Laufen, sondern durch Gottes Erbarmen selig werden sollen. So sehen die Predigten aus, aus denen sie die Giftkörner ausmünzen, die Ihr sie ausstreuen sehr. Aber um guter oder schlechter Nachrede habe ich mein Werk nicht angefangen, werde es darum auch nicht lassen. Der Herr möge ein Einsehen haben. Diese Gegner schüren auch gegen mich, weil ich den Scholastikern die Kirchenlehrer und die Bibel vorziehe, und sie werden geradezu unsinnig vor hitzigem Eifer. Ich lese die Scholastiker mit freiem Urteil und nicht mit geschlossenen Augen, wie sie. So hat es uns der Apostel angewiesen: „Prüfet alles, und das Beste behaltet!“ Ich verwerfe nicht alle ihre Sätze, aber ich erkenne sie auch nicht alle an. Aber das ist die Art dieser Großsprecher: aus einer Kleinigkeit machen sie ein Großes, aus einem Fünkchen ein loderndes Feuer und aus einer Mücke einen Elefanten. Aber mit Gottes Hilfe schere ich mich nicht um solche Fratzen. Worte, nichts als Worte sinds und bleibens. Wenn Skotus, Gabriel Biel und ihresgleichen von Thomas abweichen durften, wenn die Thomisten der ganzen Welt ins Gesicht widersprechen dürfen, wenn es innerhalb der Scholastik so viele Sekten gibt als Köpfe und Haare auf jedem dieser Scholastikerschädel: warum soll ich nicht dieselbe Befugnis gegen sie haben, die sie gegen sich selber für sich als gutes Recht in Anspruch nehmen? Aber wenn Gott das Werk führt, da ist niemand, der es wenden kann. Wenn er die Hand ruhen läßt, ist niemand, der es vorwärts bringen kann. Lebt wohl und betet für mich und die göttliche Wahrheit, sie sei auf welcher Seite sie wolle.

Wittenberg am 31. März 1518

Bruder Martinus Eleutherius, Augustiner.

1) Staupitzens Buch „Von der Liebe Gottes“

 

Quelle:
Martin Luther Briefe In Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald Erster Band Leipzig / Im Inselverlag / mdccccix